Leben ist das, was passiert, während man andere Dinge plant.

21 Jahre lang hatte ich einen Vater, von dem ich bis heute noch nicht weiß, ob er mich wirklich geliebt hat. Der in meiner Erinnerung immer ein „von mir aus“ sprach, mich aber im Zweifel dann nie gegen meine Mutter verteidigt hat. Ich hatte einen Vater, der da war, aber bei dem ich nie das Gefühl hatte dass er seine eigene Meinung äußert. Der mich in den Ferien mit auf Tour nahm und trotzdem fühlte ich mich ihn nicht nah. Aber ich fühlte mich sicher in seinem Auto. Er ließ zu, dass meine Mutter mich so erzog, wie sie es für richtig hielt. Er ließ zu, dass ich Schläge bekam und eingesperrt wurde. Ich weiß bis heute nicht, ob er das richtig fand oder zu feige war, was zu sagen. Aber er war mein Vater. Ihn zu verlieren tat weh. So sehr, dass ich damals nach seinem Unfalltod kurzzeitig Betablocker bekam, weil es nicht anders ging. Offene Worte, die nie mehr gesprochen werden würden, bedrückten mich, bis ich sie Jahre später loslassen konnte an seinem Grab. Er hinterließ trotz allem eine Lücke. Er fehlte bei der Hochzeit, als ich den Mann heiratete, der zu seinen Lebzeiten als mein Freund nie die Schwelle unseres Hauses übertreten durfte. Er hat seine Enkel nie kennengelernt, die mit dem Wissen aufwachsen, dass er da war.

24 Jahre lang kannte ich einen Mann, der nach und nach immer mehr den Platz eines Vaters einnahm. Er trat in mein Leben als Vater meines Freundes. Anfangs respektierte ich ihn und fand ihn sympathisch, später begann ich ihn herzlich zu lieben. Noch bevor er offiziell mein Schwiegervater wurde, hatte er sich einen Platz in meinem Herzen erobert. Er nahm mich, wie ich war. Er sprach aus, was er dachte. Er war da, wenn man ihn brauchte. Er gab Rat, auch wenn der vielleicht unbequem war und nicht das, was man erwartet hatte. Er machte nicht viele Wort, aber die hatten Gewicht. Er war pragmatisch, ironisch, humorvoll und manchmal aus bissig in seiner Art. Er hatte immer ein offenes Ohr und eine helfende Hand. Für Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder und alle anderen in der Familie. Als er krank wurde, hätte ich ihm gern alles Leid erspart und jeden Schmerz abgenommen, wenn ich gekonnt hätte. Er wollte kein Mitleid. Er wollte optimistisch sein ohne den Realismus aus den Augen zu verlieren. Nun hat er sich davongeschlichen. Schmerzfrei abends einschlafen und nicht wieder aufwachen – das war sein Wunsch. Den hat er sich erfüllen können. Unerwartet für alle. Schmerzhaft für jeden von uns.

Wir schwanken zwischen funktionieren und trauern, zwischen lachen und weinen, zwischen Trost weil es so kam wie er es wollte und dem großen Loch, das zurückgeblieben ist. Wir versuchen den Spagat zwischen dem, was er als letzten Weg wollte und dem, was die Kinder, Schwiegerkinder und Enkelkinder brauchen.

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